Wie ich hier und auch im Nachbarblog unter „Bonner ABC: Argelander, Beethoven, Chemiepalast … und Hertz“ darauf hingewiesen habe, werden passend zur aktuellen Heinrich-Hertz-Ausstellung geschichtliche Stadtspaziergänge zu drei großen Bonner Naturwissenschaftlern angeboten. Neben Physiker Hertz geht es hier um den Astronomen Argelander und den Chemiker Kekulé. Übrigens sind die hier genannten Führungen zurzeit nicht vollständig, denn weitere Termine zum Stadtspaziergang „Her(t)zenssache“ gibt’s noch im September und Oktober und zum Abschluss der Hertz-Ausstellung ist für den 10. Januar noch ein Vortrag im Deutschen Museum geplant.
Letzten Freitag um 17:00 Uhr hab ich mich einer kleinen Gruppe von sieben Leuten angeschlossen und zusammen folgten wir dem studierten Historiker, hauptberuflichen Spaziergänger und Blogger Rainer Selmann durch Bonn. Vom Startpunkt am Haupteingang der Uni ging’s erstmal durch die Flure und Flügel des Hauptgebäudes, wobei viel zu Heinrich Hertz (inkl. Frauengeschichten und in Bonn selbst nachgebauter Instrumente) und zur Geschichte des ehemaligen Schlosses erzählt wurde. Nach einer Darstellung, die die alten Uni-Mauern zu Hertz‘ Zeiten in den 1880er Jahren wiedergeben soll, hatte das Ganze eher den Charme eines Weinkellers.

Das Physikalische Institut lag damals zusammen mit einer Klinik im großen Südflügel, dessen Innenhof seit Kurfürst Clemens August bis zum ersten Stock mit Erde aufgefüllt war. Schließlich wollte der, wie nachzulesen ist, aus seinem „ebenerdigen Sommerappartement“ in einen Garten treten können. Eine andere Quelle berichtet über die von dem Erdreich der hängenden Gärten ausgehende Feuchtigkeit in den Gebäudemauern.
Selbst im Keller musste Hertz einen Regenschirm dabei haben. Der Physiker sorgt sich – zurecht! – und schreibt Weihnachten 1888 an seine Eltern über den bepflanzten Innenhof, der „im Innern in der Höhe der Wohnung eine Art schwebenden Garten, sogar mit großen Bäumen bildet. Derselbe ist von der Wohnung umschlossen, was ja allerdings einen großen Reiz hat, aber er macht das ganze Gebäude feucht und ungesund als Wohnung.“

Doch bevor Hertz mit seiner Familie in das Wohnhaus seines Vorgängers in der Quantiusstraße einziehen konnte, wurde übergangsweise erstmal ein schönes Gartenhaus des Hotel Kley bezogen. Hier wohnten sie April und Mai 1889, Mitte Juni zogen sie in ihr Haus am Bahnhof.
In dem etwa vor 100 Jahren abgerissenen Hotel Kley kehrte sogar Johannes Brahms sowie Friedrich Nietzsche, der beim Kaffee den Anblick des „herrlichen Siebengebirges“ genoss, ein, und auch der Astronom Karl Friedrich Zöllner nahm sich hier ein Zimmer: „Ermüdet von der langen Eisenbahnfahrt stieg ich im Hotel Kley ab und erfrischte mich an dem herrlichen Ausblick auf das Siebengebirge in der schön gelegenen Veranda am Gestade des Rheins.“ Der Vater des Begriffs „Astrophysik“ wurde im Hotel von Argelander besucht und schrieb später über die „herzgewinnende Persönlichkeit“ des Bonner Astronomen.

Da das Sekretäriat leider nicht besetzt war, konnten wir Hertz‘ Eckbüro mit Ausblick auf das Poppelsdorfer Schloss nur von außen betrachten. Hier zog der 32-jährige Professor zum Sommersemester 1889 ein. Und letztlich holte er sich in diesen feuchten Mauern den Tod. Anderthalb Jahre vor seinem frühen Tod fing es mit einem Schnupfen an, Entzündungen, Ohrenschmerzen und Rheumaattacken kamen hinzu, Kuren und Operationen folgten.
Im Dezember 1893 vollendete der Entdecker der Radiowellen noch seine „Prinzipien der Mechanik“, er hielt seine letzte Vorlesung und starb als 36-Jähriger am Neujahrstag 1894. Schuld daran waren die „klimatischen Verhältnisse im Südflügel“, versichert der Hertz-Biograf Albrecht Fölsing und schreibt weiter: „Der Arzt, der Heinrich Hertz behandelt hatte, „behauptet mit aller Bestimmtheit, Hertz sei am Institut gestorben.““

Weiter ging’s in Richtung Quantiusstraße. Wir machten kurz Halt an einem Laden mit Mikrowelle und an einer Bahnhofsuhr – beides Erfindungen, die auf Hertz‘ Entdeckung vor rund 130 Jahren basieren. Kein wissenschaftlicher Bezug, aber trotzdem interessant: Mitten in einer Einkaufspassage in Bahnhofsnähe steht ein Überrest der 400 Jahre alten Stadtbefestigung Bonns.

Wo Familie Hertz ab Juni 1889 in der Quantiusstraße wohnte ist normalerweise durch ein altes Hinweisschild erkennbar, jetzt hängt hier eine von sieben Infotafeln der Hertz’schen Caching Tour, die man mit einem Smartphone – funktioniert auch nur mit Funkwellen! – machen kann. Der zum Wohnhaus gehörende Garten mit einem Kastanienbaum war sicher ein Ruhepol des Wissenschaftlers: „Heute war ich den ganzen Tag im Garten, der jetzt ganz erfüllt ist mit Duft.“

Entlang der Gründerzeit-Häuser mit Katalog-Fassaden überquerten wir die Beringstraße und auch wenn es hier nachzulesen ist, hat sie nichts mit dem Dänen zu tun. Unser nächstes Ziel gegenüber des Poppelsdorfer Schlosses kann man heute einfach mit „Alte Chemie“ abkürzen und doch war es einmal das weltweit größte Institutsgebäude: der Chemiepalast von Friedrich August Kekulé, Entdecker des Benzols. Wie der Professor später selbst erzählte, kam er 1865 auf die Ringform des Benzolmoleküls, in dem ihm im Traum eine sich in den Schwanz beißende Schlange erschien.
Das Zimmer des Direktors lag am Ende des langen Flurs.

Vor der östlichen Front des „Tempels der Wissenschaft“, wie das Mitte der 1860er Jahre errichtete Gebäude auch mal genannt wurde, steht seit 1903 Kekulé höchstpersönlich, umgeben von zwei Sphinxen, die die Rätsel der Wissenschaft symbolisieren. Im hier zu sehenden Teil des Erdgeschosses lag der „Kleine Hörsaal“, das Stockwerk darüber bestand aus der großzügigen Direktorenwohnung. Im südlichen Vestibül war Kekulés Arbeitszimmer, die Fensterreihe rechts daneben gehört zu Schlaf- und Speisezimmer. Im hier nicht zu sehenden rechten Vestibül war ein Ballsaal mit halbrunder Treppe für die Töchter eingerichtet.
1868. Zu den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Bonner Universität kam auch der spätere erste deutsche Kaiser Wilhelm I., sein Sohn Kronprinz Friedrich Wilhelm zeigte sich beeindruckt von Kekulés Institutsgebäude und meinte, dass er hier wie ein General wohnen würde. Der Professor soll geantwortet haben, dass die Chemiker ja auch „kommandierende Generäle“ seien.

Die letzte Station des naturwissenschaftlichen Stadtspaziergangs war schließlich die Alte Sternwarte von Friedrich Wilhelm August Argelander. An der Zufahrt ist auch eine Hinweistafel zur digitalen Schnitzeljagd angebracht, wobei es hier im weitesten Sinne um die Bonner Radioastronomie geht.
Durch Beziehungen zum Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV., Bruder von Wilhelm I., mit dem Argelander seit Kindertagen befreundet war, erreichte der Astronom schließlich, dass Bonn endlich eine Sternwarte bekam. Grundsteinlegung des von Schinkel überarbeiteten Baus war 1840, vier Jahre später zog die Familie in die noch unfertige Sternwarte, 1845/1846 wurde der Bau endlich abgeschlossen.

Argelander führte in Bonn die Arbeit seines „väterlichen Freundes“ Bessel fort. Dazu wurde im zentralen Hauptturm der Sternwarte ein Heliometer aufgestellt, mit dem wie Bessel in Königsberg Parallaxen-Messungen durchgeführt wurden, um daraus die Entfernung zu einzelnen Sternen berechnen zu können. Das bekannteste Werk des Bonner Astronomen ist aber sicherlich die in den 1850er Jahren durchgeführte Bonner Durchmusterung, die hier in acht Jahren Beobachtungszeit mit einem kleinen 77mm-Refraktor enstand. Der US-Astronom Pickering bemerkte später einmal: „das kleinste Fernrohr, mit dem das größte astronomische Werk geschaffen wurde.“ Denn immerhin wurden damit Positionen und Helligkeiten von etwa 324.000 Sternen gemessen.
Nach dem Besuch im heute leeren Heliometer-Turm, wo man nur noch die drei Aufstellpunkte des massiven Stativs sieht, endete schließlich unser wissenschaftshistorische Spaziergang durch Bonn. Über drei Stunden dauerte er, durch die sympathische Art und Weise des Berufsspaziergängers Selmann war er jedoch nie langweilig. Den überaus interessanten – faktenreichen wie anekdotenreichen – Stadtrundgang zusammenfassend wurde nochmal betont, dass alle drei Bonner Professoren – Argelander (Staatsrecht), Hertz (Ingenieur) und Kekulé (Architekt) – zunächst Studienabbrecher waren, denn ihre Her(t)zenssache fanden sie erst in der Naturwissenschaft; Bessel hatte sogar schon als 14-Jähriger nach der 8. Klasse das Gymnasium verlassen.

16.07.2012