Archiv für April 2017

Grand Finale: Cassinis erster Flug durch die Ringlücke

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So hat man sich den ersten Durchflug der 2.000 Kilometer breiten Lücke zwischen Saturns Ring und der Planetenkugel vorgestellt – als Echtzeit-Simulation und als Google Doodle. Seit dem 22. April befindet sich Cassini nun offiziell im letzten Abenteuer – das Grand Finale – ihrer 13-jährigen Saturn-Mission. Carolyn Porco, Cassinis „Kamerafrau“, freut sich sichtlich über das begonnene Finale: „In these final orbits, will also measure ’s rotation rate, composition, ring mass (& age) & more. It’s a whole new mission!“ Und schließlich soll der Orbiter nach wie vor in wenigen Monaten am 15. September 2017 in der Saturnatmosphäre verglühen. Doch nun stand erstmal die erste von insgesamt 22(!) Ringkreuzungen an. Gestern Vormittag um 11:00 MESZ raste die Sonde mit über 120.000 km/h erstmals zwischen Ring und Planet hindurch. Die Hauptantenne wurde dabei in Flugrichtung gedreht und wirkte als Schutzschild, um in der Ringebene die Gefahr von Ringteilchen-Kollisionen zu mindern. 22 Stunden später wurde planmäßig – unter Applauswieder Funkkontakt mit der Erde hergestellt, und die ersten Rohbilder stehen bereits online. Es sind zunächst Aufnahmen der Anflugphase, die Bilder der dichtesten Annäherung folgen noch.

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[Update] Ein Amateur hat die bisherigen Rohbilder der gestrigen Passage zu einem Panorama zusammengesetzt und einen Überflug davon erstellt. Es zeigt einen schmalen Streifen des ausgedehnten Wolkenwirbels (inkl. des zentralen Strudels) auf Saturns Nordpol.

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Ein Saturn-Nordpol-Panorama vom 26.04.2017; Christopher Becke

27.04.2017

90 Jahre Entdeckung der Expansion durch Georges Lemaître

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Es war heute vor 90 Jahren, als ein Priester und Physiker der Universität Löwen eine radikale Idee vor der Akademie der Wissenschaften in Brüssel vortrug. Am 25. April 1927 hatte der Belgier Georges Lemaître nichts weiter als den Grundstein für unser modernes Bild eines dynamischen, eines expandierenden Universums gelegt. Seine Arbeit mit dem langen Titel „Un univers homogène de masse constante et de rayon croissant rendant compte de la vitesse radiale des nébuleuses extra-galactiques“ – „Ein homogenes Universum mit konstanter Masse und wachsendem Radius als Erklärung für die Radialgeschwindigkeit der extragalaktischen Nebel“ – erscheint in den Sitzungsberichten der „Annales de la Société Scientifique de Bruxelles„. An diese und andere wegweisende Ideen des Wissenschafters im Priestergewand hat gestern Abend in der Volkssternwarte Bonn (VSB) der Referent Hans-Joachim Blome, ein ausgewiesener Lemaître-Experte, erinnert. Seit 15 Jahren liest er Lemaîtres Schriften im französischen Original und man kann nur hoffen, dass aus dem Manuskript endlich eine erste deutsche Biografie über diese kaum bekannte und doch außergewöhnliche Persönlichkeit entstehen wird. Der Vortrag spannte den Bogen über die nun zurückliegenden 100 Jahre der (modernen) Kosmoslogie – von den Anfängen durch Slipher, Einstein, de Sitter, über die 1998 veröffentlichte Entdeckung der beschleunigten Expansion und bis zum großen Rätsel der Dunklen Energie. Aber der Hauptprotagonist des Abends war ganz klar Georges Lemaître, denn er hatte das Konzept der Expansion des Universums und des Urknalls entworfen.

1917 fing alles an. Schon kurz nachdem Albert Einstein 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie (ART) abgeschlossen hatte, 8 Jahre waren für ihre Vollendung nötig, wollte er seine Gravitationsgleichungen auf das gesamte Universum anwenden. Im Februar 1917 legte er seine Arbeit „Kosmologische Betrachungen zur allgemeinen Relativitätstheorie“ der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften vor. Aus seinen Gleichungen folgte, dass das Universum nicht statisch ist, sondern kollabieren oder sich ausdehnen sollte. Da das Jahrhundertgenie keinen Grund dafür hatte, ein dynamisches Universum anzunehmen, fügte er den griechischen Buchstaben Lambda – die heutige kosmologische Konstante – ein. Einstein war eben kein Beobachter und bis zu ausreichenden Beobachtungsdaten dauerte es noch etwas. Ausgerechnet der katholische Priester und Physiker Georges Lemaître aus dem kleinen Belgien dachte weiter als Einstein und machte Schluss mit der statischen Welt, denn 10 Jahre später gab es endlich genügend Daten.

Lemaître besuchte ab 1920 das Priesterseminar in Mechelen, wobei er von Kardinal Mercier die Erlaubnis erhalten hatte, sich weiter mit Einsteins Gravitationstheorie zu befassen. 1923 wurde er zum Priester geweiht und es erschien seine erste wissenschaftliche Arbeit. Er war bei der Geburtsstunde der extragalaktischen Astronomie (durch Entfernungsmessung mit Cepheiden in M 31 und M 33) anwesend, als am Neujahrstag 1925 Henry Norris Russell auf einer Tagung ein Paper von Edwin Hubble vorlas. Er kannte Hubbles nächste Arbeit über Galaxien und die 1925 veröffentlichte Auflistung von Vesto Sliphers Radialgeschwindigkeiten (meist Rotverschiebungen) durch Gustaf Strömberg. 1927 zählte Lemaître alles zusammen und rechnete. Er fand die heute bekannte Proportionalität: Je weiter eine Galaxie (damals meist noch als „extragalaktischer Nebel“ bezeichnet) entfernt ist, desto schneller bewegt sie sich von uns weg. Lemaître deutete jene Galaxienflucht, die aus den beobachteten (rotverschobenen) Radialgeschwindigkeiten folgte, jedoch nicht als Doppler-Effekt (Bewegung durch den Raum), sondern als Eigenschaft des Raumes selbst. „Die Abkehr der extragalaktischen Nebel ist ein kosmologischer Effekt aufgrund der Ausdehnung des Raumes.“ Auf der Reise von den fernen Galaxien bis zu uns, bewegt sich das Licht durch den wachsenden Raum, wobei seine Wellenlänge  stark gedehnt wird, was im Spektrum als Rotverschiebung sichtbar wird. Diesen völlig richtigen Gedanken hatte Lemaître vor 90 Jahren!  Für die Expansionsrate erhielt er (heute ordentlich danebenliegende) Werte von 625 km/s/Mpc bzw. 575 km/s/Mpc und leitete 900 Millionen Lichtjahre als Radius des Universums ab. Zwei Jahre nach ihm stieß Hubble ebenfalls auf die lineare Beziehung aus  Entfernung und Geschwindigkeit und kam auf eine ähnliche Expansionsrate (heute nur Hubble-Konstante genannt), aber der Schlussfolgerung eines expandierenden Raumes widerstrebte er.

Und nachdem er 1927 auf Beobachtungen basierend das dynamische Universum erfand, legte Georges Lemaître 1931 noch einen weiteren kosmologischen Grundstein, wobei der geistliche Herr noch zum geistigen Vater der Urknalltheorie wurde. Als Schöpfer des Begriffs „Big Bang“ (1948), erlaubte sich Fred Hoyle einen Spaß und stellte Lemaître 1960 auf einer Tagung in Pasadena als „Big Bang Man“ vor. 

25.04.2017

22. April: Weltweiter „March for Science“ auch in Bonn

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In unsicheren Zeiten von „postfaktisch“ (Wort des Jahres 2016), alternativen Fakten, Fake-News und Lügenpresse werden am morgigen 22. April weltweit Demonstrationen für Wissenschaft und Forschung stattfinden. Der Auslöser dafür ist die wissenschaftsfeindliche Regierung unter US-Präsident Trump. Für Trump ist der Klimawandel bloß eine Erfindung der Chinesen und ein Krieg gegen die Kohleindustrie; seine Beratin Conway kreierte auch die Wortschöpfung „alternative Fakten“. Doch aus der in der Hauptstadt Washington geplanten Demonstration ist binnen kurzer Zeit ein globales Phänomen geworden. Denn jene internationale Entwicklung, in der Emotionen die sachliche Diskussion verdrängen, ist leider vielerorts zu beobachten. Auch in der digitalen Welt von Facebook und Co. werden immer mehr verzerrte Tatsachen, Halbwahrheiten und schlicht Lügen verbreitet. „Die Gesetzlosigkeit des Netzes wird kaltblütig ausgenützt“, um an wissenschaftlichen Methoden und Deutungen vorbei eigene „Wirklichkeiten“ zu erschaffen und so erfolgreich Unsicherheiten und Ängste zu schüren, die zu einer bestimmten politischen, ideologischen oder religiösen Agenda passen. Darum werden morgen eben nicht nur Wissenschaftler auf die Straße gehen, es sind alle Menschen(!) aufgerufen, für die empirische Befunde wichtiger sind als gefühlte Wahrheiten und Verschwörungstheorien. Es geht um den Wert von Wissenschaft und Forschung als eine Lebensgrundlage unserer offenen und demokratischen Gesellschaft. Wissenschaft geht uns alle an! Lorraine Daston, Direktorin am MPI für Wissenschaftsgschichte in Berlin, bringt es wunderbar auf den Punkt: „Es ist Zeit, die Waffen der Aufklärung zu fassen.“ Seid dabei und unterstützt Vernunft, Wissenschaft und Fortschritt!

In über 600 Städten rund um den Erdball sind Veranstaltungen zum „March for Science“ bzw. „Science March“ geplant. Von Neuseeland bis Grönland, von Südafrika über Nepal bis Chile wollen Menschen ein Zeichen für die Wissenschaft setzen. Auch in Deutschland finden zahlreiche Veranstaltungen statt. Bei der Berliner Kundgebung wird Wissenschaftsjournalist und TV-Moderator Ranga Yogeshwar auf der Bühne stehen. Zu seiner Teilnahme sagte er in einem Interview: „Mein Weckruf der persönlichen Art war eine Begegnung Anfang des Jahres mit der Polizeipräsidentin von Bonn. Wir sprachen unter anderem über die Kriminalitätsstatistik in Bezug auf Migranten und sie sagte: „Wissen Sie, wenn wir die Statistik zeigen, dann ist es nicht nur so, dass man uns nicht glaubt. Man behauptet dann sogar, dass wir lügen.“ Ich fand es bemerkenswert, weil es zeigt, dass viele Menschen – bei weitem nicht nur die Populisten – einer gefühlten Wahrheit mehr vertrauen als den objektiven Fakten. Viele Debatten sind mittlerweile geprägt von Angst, mitunter von Hysterie. Sie werden dominiert von den Lautsprechern der Populisten. Und so wird die Chance vertan, Diskussionen auf der Basis von wissenschaftlicher Erkenntnis zu führen.“

Der größte „Science March“ in NRW soll ab 12:00 Uhr auf der Hofgartenwiese der Uni Bonn stattfinden (Bericht im General-Anzeiger inkl. Kommentar dazu); moderiert wird er von Meteorologe und TV-Moderator Karsten Schwanke. Die Organisatoren (im Interview) wollten zunächst eine Aktion in Köln, taten sich dann jedoch mit dem Bonner Team zusammen. Die Veranstalter schreiben auf ihrer Facebook-Seite: „Wissenschaft ist das beste Werkzeug, das wir bisher hervorgebracht haben, um möglichst frei von politischen, ideologischen und religiösen Einflüssen unsere Welt zu ergründen und so gewonnene Erkenntnisse der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Seit der Zeit der Aufklärung konnten so die Wissenschaft und Forschung als universelles Werkzeug erfolgreich zur Weltgestaltung und ständiger Verbesserung unserer Lebensbedingungen in nahezu allen Bereichen beitragen. Die wissenschaftliche Methode zur Erkenntnisgewinnung hat sich darüber hinaus auch im gesellschaftlichen Diskurs bewahrt. Sie hilft bei dem Aufbau und Erhalt von freiheitlich demokratischer, offener Gesellschaft und ermöglicht im Rahmen der Rechtsstaatlichkeit die Sicherung von Transparenz, Gerechtigkeit und Humanität. Wissenschaftlich belegbare Erkenntnisse müssen daher weiterhin Entscheidungsgrundlage in einer Demokratie sein.“

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Kritische Punkte zum „March for Science“ werden beispielsweise von bloggenden Wissenschaftlern hier und hier angesprochen.

21.04.2017


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