Was für eine Physiker-Karriere: Für eine anständige Ausbildung kehrt er mit 20 Jahren China den Rücken und landet am 06. September 1956 mit 100 Dollar in der Tasche am Flughafen Detroit, gewinnt nur 20 Jahre später den Nobelpreis, für die Entdeckung des J/Psi-Teilchens, dass aus einem zuvor unbekannten Quark-Typ besteht, und heute umkreist „sein“ 1,5 Milliarden Dollar teurer Teilchendetektor an der ISS die Erde, mit dem Samuel C. C. Ting offenbar auf der Spur der rätselhaften Dunklen Materie ist. Nun stellte der 77-jährige Nobelpreisträger und Chefwissenschaftler des AMS-Projekts gestern am CERN in Genf die lang erwarteten ersten Ergebnisse des AMS-02 genannten ISS-Experiments vor (ausführlich wurde hier gebloggt).
Die Arbeit an AMS-02 begann schon 1999, vor fast zwei Jahren wurde es dann mit dem letzten Flug des Space Shuttles Endeavour zur Raumstation gebracht und ist am 19. Mai 2011 installiert worden, womit der Messbetrieb des Detektors auch direkt aufgenommen wurde. Seitdem registriert das 6,9t-Experiment AMS-02 (Alpha Magnetic Spectrometer) – kastenförmig zwischen mittlerem Hauptkomplex und rechten Solarpaneelen im Bild sichtbar – jeden Tag 40 Millionen Teilchen der Kosmischen Strahlung.

Schon in den 20 Jahre alten Daten von in New Mexico gestarteten Ballonexperimenten wie TS93 (September 1993, 36.000 Meter Höhe) oder HEAT-94 (Mai 1994, 35.000 Meter Höhe) findet man Abweichungen des Positronenanteils der Kosmischen Strahlung. Damit hatte man damals nicht gerechnet und nach 2000 etablierte sich schließlich ein Zusammenhang von Positronen-Überschuss und der mysteriösen Dunklen Materie. Der Exzess der Elektronen-Antiteilchen soll dabei durch Vernichtungsprozesse (Annihilation) von Dunkle-Materie-Teilchen entstehen, denn Protonen als Hauptquelle für die beobachteten hochenergetischen Positronen scheiden aus. Hinter dem Positronen-Überschuss bei Energien von über 10 GeV muss sich gänzlich neue Physik verstecken, wie auch Sam Ting vermutet.
Auch die gestern der Öffentlichkeit vorgestellten Daten des AMS-02-Detektors (Pressemitteilung, Fachartikel (unter den 354 Autoren sind auch 23 Physiker aus Aachen)), basierend auf 25 Milliarden Teilchenereignissen der ersten 18 Monate, liegen dies nahe. Die Grafik für die 400.000 gemessenen Positronen zeigt oberhalb von 10 GeV deutlich den schnellen und dahinter abflachenden Anstieg (bis zu 350 GeV) und durch die hohe Datenausbeute wurde die Präzision erheblich gesteigert, die Fehlerbalken anderer Experimente sind deutlich größer. Die bisher 14.200 registrierten „überschüssigen“ Positronen sind zwar konsistent mit dem Modell für einen Dunkle-Materie-Ursprung, aber zwingend ist die Deutung noch nicht. „Our evidence supports the existence of dark matter but cannot rule out“ andere potentielle Positronenquellen wie etwa Pulsare oder ähnliche Hochenergieobjekte, erzählte Sam Ting beim gestrigen CERN-Seminar. Auf eine endgültige Antwort hofft der AMS-Chefwissenschaftler sogar schon mit Daten der nächsten Monate. „And then we will know if what we see is from dark matter collisions or from pulsars.“
So wird der Nobelpreisträger vielleicht tatsächlich noch die Frage von Goethes Faust beantworten, was wohl die Welt im Innersten zusammenhält.

04.04.2013