90 Jahre Entdeckung der Expansion durch Georges Lemaître

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Es war heute vor 90 Jahren, als ein Priester und Physiker der Universität Löwen eine radikale Idee vor der Akademie der Wissenschaften in Brüssel vortrug. Am 25. April 1927 hatte der Belgier Georges Lemaître nichts weiter als den Grundstein für unser modernes Bild eines dynamischen, eines expandierenden Universums gelegt. Seine Arbeit mit dem langen Titel „Un univers homogène de masse constante et de rayon croissant rendant compte de la vitesse radiale des nébuleuses extra-galactiques“ – „Ein homogenes Universum mit konstanter Masse und wachsendem Radius als Erklärung für die Radialgeschwindigkeit der extragalaktischen Nebel“ – erscheint in den Sitzungsberichten der „Annales de la Société Scientifique de Bruxelles„. An diese und andere wegweisende Ideen des Wissenschafters im Priestergewand hat gestern Abend in der Volkssternwarte Bonn (VSB) der Referent Hans-Joachim Blome, ein ausgewiesener Lemaître-Experte, erinnert. Seit 15 Jahren liest er Lemaîtres Schriften im französischen Original und man kann nur hoffen, dass aus dem Manuskript endlich eine erste deutsche Biografie über diese kaum bekannte und doch außergewöhnliche Persönlichkeit entstehen wird. Der Vortrag spannte den Bogen über die nun zurückliegenden 100 Jahre der (modernen) Kosmoslogie – von den Anfängen durch Slipher, Einstein, de Sitter, über die 1998 veröffentlichte Entdeckung der beschleunigten Expansion und bis zum großen Rätsel der Dunklen Energie. Aber der Hauptprotagonist des Abends war ganz klar Georges Lemaître, denn er hatte das Konzept der Expansion des Universums und des Urknalls entworfen.

1917 fing alles an. Schon kurz nachdem Albert Einstein 1915 seine Allgemeine Relativitätstheorie (ART) abgeschlossen hatte, 8 Jahre waren für ihre Vollendung nötig, wollte er seine Gravitationsgleichungen auf das gesamte Universum anwenden. Im Februar 1917 legte er seine Arbeit „Kosmologische Betrachungen zur allgemeinen Relativitätstheorie“ der königlich-preußischen Akademie der Wissenschaften vor. Aus seinen Gleichungen folgte, dass das Universum nicht statisch ist, sondern kollabieren oder sich ausdehnen sollte. Da das Jahrhundertgenie keinen Grund dafür hatte, ein dynamisches Universum anzunehmen, fügte er den griechischen Buchstaben Lambda – die heutige kosmologische Konstante – ein. Einstein war eben kein Beobachter und bis zu ausreichenden Beobachtungsdaten dauerte es noch etwas. Ausgerechnet der katholische Priester und Physiker Georges Lemaître aus dem kleinen Belgien dachte weiter als Einstein und machte Schluss mit der statischen Welt, denn 10 Jahre später gab es endlich genügend Daten.

Lemaître besuchte ab 1920 das Priesterseminar in Mechelen, wobei er von Kardinal Mercier die Erlaubnis erhalten hatte, sich weiter mit Einsteins Gravitationstheorie zu befassen. 1923 wurde er zum Priester geweiht und es erschien seine erste wissenschaftliche Arbeit. Er war bei der Geburtsstunde der extragalaktischen Astronomie (durch Entfernungsmessung mit Cepheiden in M 31 und M 33) anwesend, als am Neujahrstag 1925 Henry Norris Russell auf einer Tagung ein Paper von Edwin Hubble vorlas. Er kannte Hubbles nächste Arbeit über Galaxien und die 1925 veröffentlichte Auflistung von Vesto Sliphers Radialgeschwindigkeiten (meist Rotverschiebungen) durch Gustaf Strömberg. 1927 zählte Lemaître alles zusammen und rechnete. Er fand die heute bekannte Proportionalität: Je weiter eine Galaxie (damals meist noch als „extragalaktischer Nebel“ bezeichnet) entfernt ist, desto schneller bewegt sie sich von uns weg. Lemaître deutete jene Galaxienflucht, die aus den beobachteten (rotverschobenen) Radialgeschwindigkeiten folgte, jedoch nicht als Doppler-Effekt (Bewegung durch den Raum), sondern als Eigenschaft des Raumes selbst. „Die Abkehr der extragalaktischen Nebel ist ein kosmologischer Effekt aufgrund der Ausdehnung des Raumes.“ Auf der Reise von den fernen Galaxien bis zu uns, bewegt sich das Licht durch den wachsenden Raum, wobei seine Wellenlänge  stark gedehnt wird, was im Spektrum als Rotverschiebung sichtbar wird. Diesen völlig richtigen Gedanken hatte Lemaître vor 90 Jahren!  Für die Expansionsrate erhielt er (heute ordentlich danebenliegende) Werte von 625 km/s/Mpc bzw. 575 km/s/Mpc und leitete 900 Millionen Lichtjahre als Radius des Universums ab. Zwei Jahre nach ihm stieß Hubble ebenfalls auf die lineare Beziehung aus  Entfernung und Geschwindigkeit und kam auf eine ähnliche Expansionsrate (heute nur Hubble-Konstante genannt), aber der Schlussfolgerung eines expandierenden Raumes widerstrebte er.

Und nachdem er 1927 auf Beobachtungen basierend das dynamische Universum erfand, legte Georges Lemaître 1931 noch einen weiteren kosmologischen Grundstein, wobei der geistliche Herr noch zum geistigen Vater der Urknalltheorie wurde. Als Schöpfer des Begriffs „Big Bang“ (1948), erlaubte sich Fred Hoyle einen Spaß und stellte Lemaître 1960 auf einer Tagung in Pasadena als „Big Bang Man“ vor. 

25.04.2017

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